"10 Fragen - 10 Antworten" - Burschen und Männer mit Opfererfahrungen

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"10 Fragen - 10 Antworten" - Burschen und Männer mit Opfererfahrungen
  1. Die Erfahrung von Männerberatern zeigt: Burschen und Männer tun sich oft schwer, über Opfer-Erfahrungen zu sprechen. Wieso?

Sich einzugestehen, schlimme Erlebnisse von Misshandlung und Gewalt gemacht zu haben, ist an sich schwer – bei Burschen und Männern zumal dann, wenn dies mit Versagen und Schwäche in Verbindung gebracht wird.Nicht selten fühlen sich Betroffene für erlittene Gewalt sogar schuldig („Ich hab’s ja verdient“).

  1. Weshalb wird die Erfahrung verdrängt, wozu kann die Verdrängung dienen? Welche Folgen kann sie haben?

Verdrängung ist manchmal eine notwendige und hilfreiche Form, mit dem erlebten Leid umgehen und leben zu können. Bei betroffenen Burschen und Männern ist die Meinung verbreitet: Wenn sie über Opfererfahrungen nicht sprechen, seien diese nicht präsent. Die schmerzliche Erfahrung wird ausgeblendet. Sie halten Abstand zu ihrer Verletztheit und lassen dadurch keine Nähe zu sich selbst und zu anderen zu.

  1. Wie wirkt erlittene Gewalt?

Die Erfahrung von körperlicher und psychischer Gewalt führt bei Männern wie bei Frauen häufig zu Angst, Schock, Verzweiflung, Schmerz, Scham, Trauer, Wut, Hilflosigkeit und Verunsicherung. Eine Erfahrung ist, dass Frauen und Männer damit anders umgehen. Burschen und Männer verharmlosen, verschweigen und bagatellisieren die erlebte Gewalt eher. Sie holen sich selten und spät Hilfe. Die starken Gefühle werden als unangenehm und bedrohlich erlebt. Sie nicht wahrhaben zu wollen, nicht zu akzeptieren, kann sich negativ und störend auf das gegenwärtige Leben und auf Beziehungen auswirken.

  1. Wie können, wie sollen Männerberater dem Schweigen begegnen?

Unser Job ist es, von Gewalt betroffene Männer ernst zu nehmen, ihnen Zuwendung zu geben. Unangenehme Gefühle wie Angst, Scham und Hilflosigkeit sollen in den Beratungen angesprochen werden. Es geht darum, gewaltvolles Verhalten wahrzunehmen, zu benennen und sich dagegen auszusprechen. Das erfordert Zeit, Hingabe und Konfrontation mit dem Erlebten.

  1. Wann, unter welche Voraussetzungen, gelingt es Burschen und Männern eher über ihre negativen Erlebnisse zu sprechen?

Betroffene reden dann eher über ihre belastenden Erfahrungen, wenn sie auf Menschen treffen, die damit vertrauensvoll und ohne Vorurteile umgehen. Burschen und Männer brauchen Ermutigung, um ihre eigenen Opfererfahrungen wahrnehmen und ausdrücken zu dürfen.

  1. Wie tauglich, wie sinnvoll ist es, von „Opfern“ zu sprechen?

Der ‚Opfer’-Begriff ist unseres Erachtens differenziert, reflektiert und behutsam zu verwenden. Zwischen der Fremdzuschreibung ‚Opfer’ und der Selbstbezeichnung ist sinnvollerweise zu unterscheiden: Jemanden anderen als ‚Opfer zu bezeichnen, kann diskriminierend und damit auch stigmatisierend wirken. Die Fremdzuschreibung kann den Effekt haben, dass die als ‚Opfer’ benannte Person sich nicht in ihrer Gesamtheit wahr und ernst genommen sieht. Das Gefühl zusätzlicher Erniedrigung könnte damit einhergehen.

  1. Wann ist die Bezeichnung ‚Opfer’ zutreffend, wann kann sie hilfreich sein?

Das Wort kann hilfreich sein, um leidvolle, schmerzvolle, ohnmächtige Erfahrungen zu benennen, vor allem, wenn die eigene Situation damit beschrieben wird.

  1. Mit welchem Ziel erfolgt Beratung und Unterstützung?

Ziel sollte es sein, jemanden zu befähigen, selbst die Verantwortung für die Bewältigung von Gewaltfolgen übernehmen zu können.

  1. Werden männliche Opfer zu Tätern?

Das ist ein leider verbreiteter Mythos. Eine derartige Vereinfachung wird den unterschiedlichen Formen, das Erlebte zu verarbeiten, nicht gerecht.

  1. Worauf haben Betroffene Anrecht?

Männer, die Gewalt ausgesetzt waren, haben ein Recht auf Emotion, darauf, Angst haben zu dürfen. Akzeptanz, Raum und Zeit, Respekt, Achtsamkeit und Zuwendung sind Rechte, die vom Umfeld und professionellen Helfern respektiert bzw. garantiert werden sollen.